HORIZONT-INTERVIEW

Ciesco: Zoja Paskaljevic hatte es als Mediaagentur-Manager weit nach oben geschafft und arbeitet seit zwei Jahren im M&A-Business. Wie sieht er seine einstige Branche heute?

M&A-Berater Paskaljevic: Können Mediaagenturen wieder sexy werden? Foto: CiescoWie ist es um die Media-Networks wirklich bestellt? Ein Mann, der es wissen muss und heute offener als früher darüber sprechen kann, ist Zoja Paskaljevic. Paskaljevic war bis 2017 Deutschlandchef von DAN und ist inzwischen als Berater in Sachen M&A unterwegs. Seine Diagnose zu Mediaagenturen: Der Handlungsdruck ist brutal, die Chancen aber nach wie vor groß.

Herr Paskaljevic, Sie haben sehr lange in Mediaagenturen gearbeitet und sind seit zwei Jahren bei der Londoner M&A-Beratung Ciesco. Wenn Sie an Ihre Agenturzeit zurückdenken: Beschleicht Sie da manchmal Wehmut, oder denken Sie: Zum Glück bin ich da raus?

Ich habe als TV-Planer begonnen und war zuletzt CEO einer Agentur-Holding. Dass solche Karrieren möglich sind, gehört zu den schönen Seiten der Branche. Ich habe überhaupt keine negativen Gefühle und würde alles wieder genauso machen. Ich finde auch Media nach wie vor extrem spannend – wahrscheinlich heute sogar noch mehr als früher.

Stimmt es, dass Sie als Deutschlandchef von Dentsu Aegis Network (DAN) damals Sinner Schrader und Kolle Rebbe kaufen wollten – und in beiden Fällen die Verhandlungen schon weit gediehen waren?

Ja, das stimmt. Es gab viele Gespräche mit potenziellen Partnern, viele davon in Hamburg. Mein Auftrag war, aus DAN eine innovative Fullservice-Agentur zu machen. Dazu gehörte nach meiner Überzeugung auch eine Kreativagentur, wie sie DAN in den USA und England mit McGarry Bowen bereits hatte.

Ihr damaliger Europa-Chef Bo Jeppesen hatte dann aber andere Pläne.

Speziell bei Kolle Rebbe war er als mein Boss leider anderer Meinung als ich. Der Nachteil von Kreativagenturen sind die schwachen Margen, die bei einer Übernahme natürlich das Ergebnis der ganzen Gruppe belasten. Damals stammten 90 Prozent der DAN-Umsätze aus dem alten Media-Modell und ich war überzeugt, dass wir das ändern und uns auf die Zukunft vorbereiten müssen. Dazu gehörte auch die Wiedervereinigung von Kreation, Media und CRM, die auch für Kunden das Leben extrem erleichtern würde.

Auch wenn Sinner Schrader und Kolle Rebbe schließlich bei Accenture Interactive gelandet sind: Untätigkeit bei Übernahmen kann man den Werbe-Holdings nicht vorwerfen.

Wenn Sie in neue Geschäftsfelder wollen, haben sie zwei Optionen: selber etwas aufbauen oder Mergers & Acquisitions. Letzteres ist absolut legitim, weil Sie so schneller ans Ziel kommen. Die Media-Netzwerke haben aus meiner Sicht im Großen und Ganzen schon die richtigen Capabilities dazugekauft und in die richtigen Felder investiert. Dass es dennoch nicht immer geklappt hat wie gewünscht, hat andere Gründe.

Nämlich?

Was oft fehlt, ist ein echtes Committment zur Integration der neuen Familienmitglieder. Es reicht nicht, die Wände einzureißen und zu sagen: Wir arbeiten jetzt alle zusammen und haben eine gemeinsame P&L. Als börsennotiertes Unternehmen haben Sie immer Druck auf dem Kessel. Wirklich unternehmerisch zu handeln und in einem Jahr auch mal bewusst Abstriche bei der Marge in Kauf zu nehmen, ist nicht so einfach, wenn die Börse Ihnen sagt: Ich will die Rendite aber jetzt und sofort! Ein unabhängiges Unternehmen ist da sicherlich im Vorteil. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Notwendigkeit, sich zu transformieren. Schauen Sie sich die Entwicklung der Aktienkurse vor Ausbruch der Coronakrise an: Die klassischen Agenturen und Medien verlieren seit Jahren, während die Kurse von Unternehmen aus den Ad- oder Marketing-Tech-Sektoren kontinuierlich stiegen. Da ist noch viel Fantasie im Markt. Wir werden während und nach der Corona-bedingten „Social Isolation“ sehen, wie sich Social- und E-Commerce weiter in unserem Alltag verankern.

Wie stark leidet die Qualität in einer Network-Agentur unter dem immensen Margendruck?

Man darf nicht pauschalieren. Jemand wie Jürgen Blomenkamp hat bei Group M über viele Jahre vieles richtig gemacht. Man darf eben nicht gleich die Hacken zusammenschlagen und aufstehen, wenn auf dem Telefon eine Nummer aus London aufscheint. Aber der Druck ist schon sehr groß, keine Frage. Für deutsche CEOs kommt noch hinzu, dass sie oft die schwächeren Zahlen in anderen Ländern kompensieren müssen. Aber wie gesagt: Wenn Sie die nötige Stärke haben, können Sie auch als Chef einer Network-Agentur viel bewegen.

Welche Qualifikationen braucht es heute generell als Agenturchef?

Das vorherrschende Bild ist ja immer noch das der großen Orchestrierung. Ich halte das für völlig falsch und bin ein großer Anhänger von John Kao, der seit vielen Jahren Business Creativity lehrt. Statt „Sheet Music“-Orchestrierungen sind heute eher Jazz-Improvisationen gefragt. Wenn Sie in der Lage sind, zu „jammen“, kommen Sie auch mit unvorbereiteten Entwicklungen zurecht. Die Zeit der festgefügten Ordnungen ist einfach vorbei. Das gilt für mich auch bei übergeordneten Themen wie Werbewirkungsforschung. Wir haben seit 20 Jahren einen Zollstock, mit dem Sie den TKP bis auf den Millimeter genau messen können. Nur: Dieser Zollstock passt nicht mehr zu der Welt, in der wir leben.

Damit sagen Sie auch, dass die ganzen Appelle des Kundenverbands OWM an die US-Plattformen sinnlos sind.

Es ist doch völlig absurd, Google und Facebook zu sagen: Liefert mir die Sachen bitte so, wie mein Zollstock sie haben will! Wenn das alte Lineal nicht mehr passt, muss man das irgendwann mal zur Kenntnis nehmen und diese TKP-Vergötterung endlich ablegen. Bei aller Liebe und mit großem Respekt: Glauben Sie ernsthaft, dass die Google-Manager in den USA sagen: Oh, die OWM macht Druck, da müssen wir jetzt aber ganz schnell reagieren. Ein bisschen mehr Realismus und Bereitschaft zur Veränderung täte unserer Branche wirklich gut.

Lassen Sie uns auf die Mediaagenturen zurückkommen. Die gelten bei allen Problemen immer noch als sagenhaft profitabel. Verraten Sie uns, wie hoch die Renditen wirklich sind?

(lacht) Ich fürchte, wenn ich Ihnen exakte Zahlen nenne, bekomme ich richtig Ärger. Aber es ist nach meiner Beurteilung schon so, dass Mediaagenturen hohe Margen einfahren, nicht unbedingt sagenhafte. Die halte ich angesichts der hohen Risiken im Media-Business aber auch absolut für gerechtfertigt. Für Kreativ- und Digitalagenturen sind die Zahlen der Mediaagenturen aber teilweise schon frustrierend, klar.

Wie prekär ist die Lage denn jetzt, haben Mediaagenturen eine Zukunft?

Ja, davon bin ich überzeugt. Es gibt immer mehr Touchpoints und immer mehr Möglichkeiten, die Konsumenten zu erreichen. Folglich steigt auch der Analyse- und Steuerungsbedarf. Diese Aufgaben muss ja irgendjemand erledigen – und da ich sehe niemanden, der das besser könnte als die Mediaagenturen.

Aber das muss ja nicht so bleiben.

Was man in der Diskussion nicht vergessen darf, ist die Rolle großer Media-Volumen. Accenture Interactive setzt ganz auf Programmatic, und da spielt Volumen angeblich keine Rolle mehr, weil es nur noch um Daten geht. Ich sehe das anders. Nur mit dem nötigen Volumen im Rücken können Sie starke Private Marketplaces aufbauen. Masse und gute Einkaufskonditionen sind eine ganz große Stärke der Mediaagenturen – und das wird noch eine ganze Weile so bleiben.

Was würden Sie den Mediaagenturen raten: Konzentration aufs Kerngeschäft oder noch stärker auf neue Geschäftsfelder zu setzen?

Zunächst einmal müssen alle immer wieder in ihren Maschinenraum schauen, der braucht jetzt auch mehr Jazz, sprich: erfahrene Virtuosen, die jeden Song im Schlaf beherrschen und auch bei Stromausfall Beat und Harmonie halten können. Zusätzlich braucht es junge Talente, die mit innovativen Tools aufgewachsen sind und den Media-Mix in Echtzeit synchronisieren können. Auf dem Weg von TV zu Total Video bieten sich viele Möglichkeiten in naheliegenden Geschäftsfeldern. Nehmen Sie Bereiche wie Data Analytics oder Content.

Und das klassische Kerngeschäft?

Es wäre ganz sicher falsch, das Kerngeschäft zu vernachlässigen. Hier werden nach wie vor die größten Umsätze und Gewinne erzielt. Diese Gewinne sollte man aber nutzen, um noch massiver in den Aufbau neuer Geschäftsfelder zu investieren. Das alte Modell ist endlich, es ist völlig klar, dass die Umsätze und Margen hier unter Druck stehen. Die Börse will aber Wachstum sehen. Daher kann es nicht nur darum gehen, sich weiter zu verschlanken, sondern es braucht auch neue Produkte und neue Wertschöpfungsmodelle. Genau das ist die Aufgabe, vor der die Networks jetzt stehen.

Wenn Sie sich die einzelnen Holdings anschauen – welche beeindruckt Sie und welche hat die größten Probleme?

Ich bin immer noch ein Fan von Dentsu, auch wenn Rendite und Aktienkurs da im Moment richtig in den Keller rasseln. Es gibt ja sogar das Gerücht, Dentsu könnte seine Media-Sparte DAN an Accenture verkaufen, da die Ergebnisse außerhalb von Deutschland desaströs sind. Ich glaube aber nicht, dass an diesem Gerücht etwas dran ist.

Und die anderen Networks?

Ich finde, dass Group M vergleichsweise gut aufgestellt ist, jedoch vor einigen Herausforderungen steht, die die neue Chefin meistern muss. Die Einzelmarken haben an Dynamik verloren, ich drücke besonders Wavemaker die Daumen und weiß, dass Mediacom lieber kämpft als schwafelt. Wer mich seit langem beeindruckt, ist PHD. Die fliegt immer etwas unter dem Radar, hat aber ein gutes organisches Wachstum und vertritt öffentlich eine klare Meinung, das ist schon stark. Bei Publicis muss man erst noch sehen, ob das „Power of One“-Konzept wirklich aufgeht, zurzeit ist der große Plan nicht wirklich sichtbar. Die größten Rätsel gibt aktuell IPG durch ihr Vakuum in C-Level-Positionen in Deutschland auf. Ich halte sehr viel von Petra Gnauert und bin gespannt, was sie als neue Chefin bei Mediabrands bewegen kann.

Bei IPG hat man als lokaler Holding-Chef deutlich weniger Einfluss als bei Group M oder Publicis Media.

Alle haben ein Mega-Brett vor sich und müssen den großen Wechsel, den man vor ein paar Jahren eingeläutet hat, jetzt beherzt durchziehen. Gelingt das nicht, wird man endgültig vom Jäger zum Gejagten. Aber es stehen ja nicht nur die Mediaagenturen vor einer gewaltigen Transformation, betroffen sind alle etablierten Agenturen. Der große Vorteil der Mediaagenturen ist, dass ihre alten Ertragsmodelle zwar unter Druck sind, aber aktuell noch gut funktionieren. Das verschafft etwas Luft und gibt Spielraum für Investitionen. Aufgrund der Coronakrise wird man im Sommer allerdings alles neu bewerten müssen.

Glauben Sie, dass Unternehmen wie Accenture in absehbarer Zeit ein Media-Network übernehmen könnten?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Accenture Interactive will Pure Play und die gesamte digitale Customer Journey abdecken. Ich sehe eher den Zukauf einer international tätigen Kreativagentur, um das Modell mit Droga5, Karmarama und Kolle Rebbe global auszurollen.

Und was ist mit Private-Equity-Firmen? Ihr Unternehmen Ciesco hat vor ein paar Wochen ein detailreiches Paper publiziert. Darin listen Sie unter anderem auf, dass Private Equity inzwischen der große Treiber bei Übernahmen im Werbemarkt ist.

Das ist in der Tat eine absolut bemerkenswerte Entwicklung. 2019 stand Private Equity für 40 Prozent der Übernahmen in unserem Sektor – vor ein paar Jahren lag der Wert noch bei 5 Prozent. Das sorgt für eine gewaltige Dynamik im Markt und das wird auch so weitergehen. Es werden weiter neue Player auf den Markt kommen und es werden weiter neue Geschäftsmodelle entstehen. Es gibt in unserem Markt so viel Bewegung wie seit 20 Jahren nicht mehr. Und das ist gut so.

Bisher konzentrieren sich Private-Equity-Firmen vor allem auf Start-ups im Tech-Sektor. Kommen diese institutionellen Anleger auch als Käufer von Media-Networks infrage?

Zunächst einmal: Ich kann mir nicht vorstellen, dass eines der großen Media-Networks bald zum Verkauf steht. Abgesehen davon muss man grundsätzlich unterscheiden zwischen strategischen Investoren wie Accenture oder S4 Capital, die ein eigenes Business-Modell aufbauen wollen, und Private Equity, wo es darum geht, das Geld der Anleger gewinnträchtig anzulegen. Private Equitys haben gerade den Agentursektor entdeckt, skalierbare Agenturmodelle sind aktuell sehr hip. Die neue Content-Realität in Zeiten der Streaming-Wars eröffnet ganz neue Möglichkeiten und Chancen.

Angenommen, ein Media-Network stünde doch zum Verkauf – würden Sie einem Private-Equity-Fonds raten, zuzuschlagen?

Würde ich, ja – auch wenn angesichts der aktuellen Lage natürlich niemand weiß, was man jetzt tun sollte. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass man Mediaagenturen auf jeden Fall auf Erfolg trimmen kann. Selbst wenn die Margen sinken, haben Media-Networks hervorragende Chancen, auch in Zukunft den Kundenwünschen „seamless“ zu entsprechen und dabei profitabel zu sein.

Letzte Frage: Wie sehen Sie die Zukunft von Google im Werbegeschäft? Wird Google noch mächtiger?

Noch mächtiger, wie soll das gehen? Ich finde es allerdings sehr interessant, dass es belastbare Stimmen gibt, wonach Google nicht nur den Cookie ausmacht, sondern sich absehbar auch komplett aus dem Bereich Managed Services herausziehen könnte. Das könnte dann ein echtes Problem für große Werbungtreibende werden, die massiv auf Inhousing und Google-Tools gesetzt haben. Was, wenn Google in zwei Jahren tatsächlich den Stecker zieht und sich auf die margenstärksten Bereiche konzentriert? Googles Ad-Tech-Geschäft kommt auf eine Marge von 30 Prozent, während Search, Youtube, Mail und Maps eine Marge von 87 Prozent aufweisen. Sollte das Szenario eintreten, sind Werbungtreibende wieder sehr viel stärker auf Dienstleister angewiesen – und Mediaagenturen sind auf einmal wieder total sexy.

Jürgen Scharrer

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